I’m on Fire - Krimi von Gerhard Loibelsberger
Una bella donna … Fesche Haxn, würde sein Onkel Ferry sagen. Wenn nur nicht der Schädel so dröhnen würde. Der Verband sollte gewechselt werden. In Wien. Bei seinem Onkel und seiner Tante. Außer ihm und der bella donna waren noch zwei Geschäftsleute und eine weibliche Servicekraft im kühlen Frühstücksraum. Vor zum Kaffeeautomaten. Alles verschwimmt. Schwarz. Filmriss.
Dunkles Haar wogt über ihm. Che bella donna! Weiche, kühle Hände umfassen sein Genick. Wo bin ich? Über ihm besorgte Gesichter.
„Sollen wir einen Arzt rufen?“
„Arzt? Warum?“
Aufrichten. Zwei kräftige Hände packen zu und helfen. Stehen. Wanken.
„No dottore. Es geht schon. Bin nur etwas schwach.“
Niedersetzen und stammeln: „Bisogno un caffè …“
La bella donna nickt, nimmt eine Schale und lässt Kaffee herunter. Sie reicht ihm die Schale mit Espresso. Großer Schluck. Wääh! Das nennen die Österreicher Kaffee? Es schüttelt ihn. Im Kopf lichten sich die Nebel. Der Mann, der ihm aufgeholfen hat, klopft ihm auf die Schulter und geht. Der andere ist verschwunden. Besorgtes Gesicht der bella donna. Sieht noch schöner aus. Hunger wie ein Wolf. Großes Tablett mit Aufschnitt. Korb mit Pannini. Silberne Butterpäckchen. Gierig zugreifen. Kornspitz. Wurst. Der Käse schmeckt nach nichts. Gummikonsistenz. Non importa. Reinstopfen. La bella donna bringt noch einen Kaffee. Hinunter damit. Es schüttelt ihn neuerlich. Sie nickt.
„Der Kaffee hier ist grenzwertig …“
„È vero …“
„Sind Sie Italiener?“
„Venezianer. Und zur Hälfte Wiener …“
„Brauchen Sie Hilfe?“
„Mein Auto wurde gestohlen. Können Sie mich mitnehmen?“
„Ich muss nach Eisenstadt.“
„Okay.“
„Aber …“
„Ich kann von dort den Zug nehmen.“
Ihre sorgsam gezupften Augenbrauen ziehen sich nachdenklich zusammen. Stirnrunzeln. Dann nickt sie. Runterstürzen des restlichen Kaffees. Vorsichtig aufstehen.
„Kommen Sie!“
Raus auf den Parkplatz. Hin zu einem roten Alfa Romeo Giulia.
„O … la bella macchina della bella donna …“
Fragender Blick.
„Scusi … War ein Kompliment …“
Anlassen des Motors. Sanftes Schnurren. Hinausfahren zum Autobahnzubringer. Autobahn.
„Was wollen Sie in Wien?“
„Onkel und Tante besuchen.“
Spöttischer Blick. Verlegenes Schweigen. Dann ein Erklärungsversuch:
„Bin in Venedig in eine üble Sache geraten. Wurde angeschossen. Deshalb hab ich Reißaus genommen … man sagt doch Reißaus?“
Sie nickt.
„In Wien habe ich Verwandte. Werde dort untertauchen.“
„Klingt gefährlich.“
„Bin Privatdetektiv …“
„Ah …“
„Darf ich fragen, was Sie machen?“
„Pharmavertreterin. Betreue Apotheken.“
„Sind Sie aus Wien?
„Aus Melk.“
„Was haben Sie in Wiener Neudorf gemacht?“
„Verkaufstour zu den Team Santé Apotheken. Gestern Tauern Apotheke in Altenmarkt, am späten Nachmittag die Wieneu Apotheke in Wiener Neudorf. Anschließend im Hotel daneben übernachtet. Jetzt geht‘s nach Eisenstadt.“
„Dann nach Melk?“
Kurzes Auflachen. Kopfschütteln.
„Nein. Ich hab‘ ich noch Wien vor mir … Die Paulus Apotheke, die Germania Apotheke und die Apotheke Schwenk. Erst dann geht‘s nach Hause.“
Plötzlich Flimmern vor den Augen. Schwindel. Schwere Augenlider. Alles schwarz.
„Aufwachen! Wir sind da.“
Blinzeln. Neonlicht. Tiefgarage.
„Wo? Wo sind wir?“
„Eisenstadt. Endstation.“
Glieder strecken. Kopfschütteln. Schmerzen. Stammeln:
„Eine Bitte … darf ich mit nach Wien fahren?“
Kurzes Nachdenken.
„Okay. Aber ich brauche einige Zeit in der Salvator Apotheke.“
„Ich warte im Kaffeehaus.“
Später im Alfa Romeo in der Parkgarage des Schlosses Estzerházy. La Bella Donna kramt aus der Handtasche ein Verbandspäckchen und Baneocin Puder.
„Der Verband muss runter.“
Kühle Hände nehmen ihn ab. Aua! Wunde und Verband kleben. Kopf schiefhalten. Baneocin Puder auf die nässende Wunde stäuben. Neuer Verband.
„Grazie mille.“
„Keine Ursache.“
Später in Wien. Kurze Verabschiedung vor der Paulus Apotheke. Drückt la bella donna einen 200 Euro Schein in die Hand und murmelt: „Das Fahrgeld …“
Eilt davon. Kurze Zeit später bei den Verwandten. Die Stiegen hinauf. Altwiener Miethaus ohne Lift. Cazzo! Schleppender Schritt. Stoßweises Atmen. Anhalten am schmiedeeisernen Treppengeländer. Dann endlich die mit gedrechseltem Schnickschnack versehene Wohnungstür. Glänzendes Messingschild auf dem Platschek eingraviert ist. Durchschnaufen. Luft holen. Mit zitterndem Finger anläuten. Altmodisches Klingelgeräusch. Ein Radio dröhnt aus der Nachbarwohnung. Schritte nähern sich. Tür wird geöffnet. Zusammenzucken. Vor ihm der höhnisch grinsende Gorilla. In der Hand eine Beretta. Faustschlag in die bärtige Visage. Ein Schuss. Brennender Schmerz in der Hüfte. Zeige- und Mittelfinger der Rechten schießen vor. In die Augen seines Gegenübers. Markerschütternder Schrei. Gorilla geht in die Knie. Reibt sich die Augen. Im Hintergrund schreit Onkel Ferry: „Uiii! Das brennt!“
Und im Radio röhrt Bruce Springsteen „I’m on Fire“.